Coeslin, den 8. September 1875
Lieber theurer Sohn,
Die Gnade unseres Herrrn Jesu, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch allen. Sein Gottes Friede wohne in Euren Herzen.
Dein Brief , lieber Wilhelm, hat Deiner Mutter und mir wohlgetan. Wir wissen, daß Du uns lieb hast, wenngleich Du nicht oft an uns schreiben kannst und Du weißt, daß wir Dich lieb haben und oft für Euch alle beten. Also soll es auch bleiben, so lange wir auf Erden wandeln. Altersliebe und kindliche Liebe begegnen sich.
Habe Dank für Deinen langen Brief, der uns ein Bild von Eurem Ergehen entwirft. Wir sehen, daß Gottes Gnade noch über Euch waltet, wir freuen uns darüber, wir danken Gott dafür und bitten Ihn, daß Er Euch alle ferner nur segne. Grüße von uns alle Deine liebe Frau und alle Deine Kinder, große und kleine, besonders Deinen lieben Victor, der von Jena aus so fleißig an uns geschrieben hat. Grüße auch gefälligst Gotthold Hoeppener von uns, wenn er von dem Manöver zu Euch zurückkehrt, ich habe auch ein paar Zeilen nach Buttstedt geschrieben.
Nun noch kurze Familiennachrichten.
Wir, Mama und ich, sind durch Gottes Gnade noch im Gange. Mama ist rüstiger als ich. Der Blasenkatarh macht mir Schmerzen, aber es kommen auch Stunden der Schmerzlosigkeit; ich habe Appetit und guten Schlaf und fühle mich stark genug, um mich täglich mit Lesen und Schreiben zu beschäftigen. Der Geist ist noch tätig, aber der Leib wird allmählich schwächer.
Heinrich in Riega hat seit länger Zeit als einem Jahre an mich nicht geschrieben, meine beiden letzten Briefe sind unbeantwortet geblieben, ich weiß nicht, ob er schon gestorben ist, oder noch lebt. Er hat oft an der Gicht gelitten. Sein Sohn Johannes, Inhaber des Eisernen Kreuzes II steht als Sergeant in der Artillerie in Sonderburg auf Alsen und hat sich kürzlich verheiratet.
Ludwig hat mit seiner zweiten Frau ein Töchterchen, das bald ein Jahr alt ist. Die 4 Söhne seiner ersten Ehe machen ihm manche Sorgen, der Beste unter ihnen ist seit einem Monat als Gehülfe in einer Buchhandlung in Berlin. Die beiden Töchter sind zu Hause und werden von einer Cousine unterrichtet.
Maria in Neustettin hat nun schon zwei verheiratete Töchter und von der einen schon zwei Enkelchen, also daß Du nun schon Großonkel bist und ich Urgroßvater bin.
Theodor in Ziezeneff bei Schievelbein ist zum zweiten Male glücklich verheiratet. Von seiner ersten verstorbenen Frau hat er 3 Töchter.
Mathilde Matzer [?] in Torgelow lebt in glücklichen Verhältnissen. Sie hat drei Söhne, von denen die beiden älteren bei Gottholds Vater in Konikow in Pension sind.
Luise Kahle in Kolberg ist ebenfalls in guter Lage. Sie hat eine Tochter von 15 Jahren und 3 [9?] Söhne, die ... [?] die Schule zu besuchen.
Also hat der treue Gott Dir und Deinen Geschwistern bisher durchgeholfen, auch durch mancherlei Schwierigkeiten und Leiden. Sein Name sei gelobt. Mögten wir alle, Eltern, Kinder, Enkel und Urenkel nur jenseits im Himmel zusammenfinden. Der Herr unser Gott und Heiland segne und behüte Dich, lieber Wilhelm mit Frau und Kindern.
In herzlicher Liebe verbleiben wir Deine
Dir treu verbundenen Eltern.
H. und W. C.
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